Wie der Tod beschriftet wird

6. April 2023, von Jakob Hinze

Foto: Pixabay CC0

Inschriften auf Gräbern, aber auch die Beschilderungen auf Friedhöfen wie hier auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise sind Forschungsgegenstand von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Exzellenzclusters „Understanding Written Artefacts“.

Fast überall, wo Menschen ihrer Toten gedenken, gebrauchen sie Schriftartefakte. Wie sehen Grabinschriften in verschiedenen Kulturen aus, wo werden sie platziert und was verraten sie nicht nur über die Toten, sondern auch über die Gesellschaften, in denen sie lebten? Mit diesem Thema beschäftigte sich die internationale Tagung „Inscribing Funerary Spaces“ am Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ der Universität Hamburg.

Frau Harter-Uibopuu, Sie haben gemeinsam mit Dr. Leah Mascia und Prof. Peter Schmidt zu einer Tagung „Inscribing Funerary Spaces“ eingeladen, die sich mit Grabinschriften, oder allgemeiner mit Schriftartefakten, die bei der Bestattung von Toten eine Rolle spielen, beschäftigt. Was ist gerade an diesen Schriftartefakten so interessant?

 Der Tod und der Umgang damit ist etwas, das alle Menschen gleich welcher Epoche und welcher Kultur beschäftigt hat. Sie alle mussten sich fragen, wie sie an ihre Toten erinnern wollen. Und mit sehr wenigen Ausnahmen nutzt jede Kultur Schriftartefakte, um dieser Erinnerung Ausdruck zu verleihen. In diesen Schriftartefakten spiegeln sich die Selbst- und Weltbilder der Menschen in verschiedenen Epochen, aber auch ihre sozialen Verhältnisse. Diese Vergleichbarkeit macht es so reizvoll, sich mit Grabinschriften auseinanderzusetzen, wie die rege Teilnahme an unserer Tagung zeigte.

Viel gibt es auf Gräbern doch meistens nicht zu lesen. Geburtstag, Sterbedatum, ein Familienname – was ist daran so aufschlussreich?

Dieses Bild deutet bereits auf einen modernen protestantischen Hintergrund hin – und damit auf ein bestimmtes Verhältnis zum Tod. Im Protestantismus sind Grabmäler tatsächlich oft sehr schlicht gehalten und wenig individuell. Vor Gott, soll das heißen, sind alle gleich, egal ob sie im Leben Bürgermeister oder Gärtner waren. Im Katholizismus ist das teilweise schon anders, da geht es auch mal opulenter zu, es wird detaillierter Auskunft darüber gegeben, wer jemand war, in was für Familienverhältnissen er oder sie stand und so weiter. Es hat auch immer wieder Kulturen gegeben, in denen sich Grabinschriften weniger auf die verstorbene Person bezogen als vielmehr auf die Hinterbliebenen und ihre Trauer über den Verlust, denen zum Beispiel in Gedichten Ausdruck verliehen wurde. Und in der griechisch-römischen Antike, zum Beispiel in Kleinasien, erfüllten Grabinschriften häufig eine Schutzfunktion. Das waren zum einen juristische Texte, die genau regelten, wer wo liegen darf; zum anderen prangten an manchen Gräbern auch Flüche, die jedem, der es wagen sollte, die Gräber zu plündern oder jemanden unrechtmäßig dort zu bestatten, großes Elend androhten.  

Wovon hängt es ab, welche Konventionen für Grabinschriften sich durchsetzen und wie sie sich verändern?

Ein wesentlicher Faktor ist, wie die Orte der Toten von den Orten der Lebenden getrennt oder auch mit ihnen verbunden sind. Liegen sie zum Beispiel abgeschieden und werden höchstens an bestimmten Feiertagen besucht, gibt es für die Inschriften nicht dasselbe Publikum wie auf dem Friedhof einer Kirche, in der sich jeden Sonntag die ganze Gemeinde versammelt und die ein zentraler Ort des gesellschaftlichen Lebens ist. In solchen Fällen dienen Gräber oft dazu, Hierarchien unter den Lebenden über den Tod hinaus zu verlängern. Größe, Ausstattung und Lage eines Grabs sind Merkmale der Abgrenzung, aber auch die Texte, die darauf stehen.

Welche Schriftartefakte außer Grabinschriften spielen im Umgang mit dem Tod noch eine Rolle?

Zum einen gibt es Kulturen, in denen die Toten mit bestimmten Schriftstücken beigesetzt wurden, zum Beispiel im alten Ägypten oder in China. In Ägypten waren das in der Regel religiöse Texte. In China wurden manchmal umfangreiche Biographien beigegeben, die Aufschlüsse über Ämter und deren Durchführung erlauben. Zum anderen gibt es Inschriften, die sich nicht auf einzelne Gräber beziehen, sondern den „funerary space“ strukturieren. Auf großen Friedhöfen wie zum Beispiel in Wien oder Ohlsdorf gibt es Richtungsanweisungen, die Besucher zu den Gräbern berühmter Persönlichkeiten leiten. Auch solche Schriftartefakte sind sehr aufschlussreich, denn ihre Anwesenheit zeigt, dass hier mit einem Publikum mit bestimmten Interessen gerechnet wird. Friedhöfe sind dann nicht mehr allein Orte des Gedenkens, sondern bekommen etwas vom Charakter eines Museums, das man besucht, um etwas Interessantes zu sehen. 

Stichwort Ohlsdorf: Was sagt die Art und Weise, wie wir heute in Mitteleuropa Gräber gestalten und beschriften, über unsere eigene Gesellschaft aus?

Der Friedhof Ohlsdorf gibt eine umfangreiche Broschüre heraus, in der man sich über verschiedene Arten von Gräbern informieren und sich je nach persönlichem Geschmack eines aussuchen kann. Hier finde ich zum einen bemerkenswert, wie stark reglementiert Friedhöfe sind – man kann eben nicht überall jeden beliebigen Grabstein aufstellen, sondern es gibt ganz klare Vorgaben, was in einem bestimmten Areal möglich ist und was nicht. Und ist es natürlich kein Zufall, dass man gerade in unserer Zeit selbst dann nicht aus der Rolle des Konsumierenden heraustritt, wenn es um Gräber geht. Selbst hier gibt es ein zunehmend vielfältiges Angebot für verschiedene Zielgruppen. Auffällig ist auch der Trend hin zu Ruhewäldern und anonymisierten Bestattungen. Statt an einem genau markierten Ort wollen viele lieber irgendwo auf einer Wiese oder unter einem Baum begraben werden, im Einklang mit der Natur. Hat das etwas mit der Auflösung klassischer Familienstrukturen zu tun? Ist das eher ein städtischer als ein ländlicher Trend und wenn ja, wieso? Wenn wir uns Schriftartefakte im Zusammenhang mit dem Tod anschauen, können wir solche Fragen besser fassen und finden vielleicht auch die Antworten darauf.  

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