„Nun gilt es, tatsächlich wirksame Schutzgebiete einzurichten“

13. April 2023, von Christina Krätzig

Foto: Pixabay CC0

Der 1872 gegründete Yellowstone-Nationalpark ist der älteste Nationalpark der Welt. Heute sollen weltweit 30 Prozent aller Landes- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden – so wurde es auf der Weltnaturkonferenz beschlossen.

Im Dezember 2022 haben sich die Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen darauf geeinigt, bis zum Jahr 2030 30 Prozent ihrer jeweiligen Fläche – zu Lande wie auch zur See – unter Naturschutz zu stellen. Wie Schutzgebiete richtig geplant werden, erforscht die Umweltwissenschaftlerin Dr. Kerstin Jantke an der Universität Hamburg.

Frau Jantke, mit 30 Prozent Schutzgebieten weltweit haben sich die Vereinten Nationen auf der Weltnaturkonferenz in Montreal auf ein ehrgeiziges Ziel verständigt. Es wurde auch von Umweltschützerinnen und Umweltschützern mehrheitlich positiv aufgenommen. Allerdings stellt sich die Frage: Wo sollen die vielen neuen Schutzgebiete entstehen – und wer bestimmt darüber?

Grundsätzlich wird jedes Land selbst bestimmen, wo neue Schutzgebiete eingerichtet werden. Vor dieser Aufgabe stehen jetzt alle. Ob das Abkommen bis 2030 tatsächlich vollumfänglich umgesetzt wird, bleibt jedoch abzuwarten. Es gibt ja keine Weltregierung, die über die Aktivitäten der Länder bestimmen kann.

Gibt es bestimmte Kriterien, welche die neuen Schutzgebiete erfüllen müssen? Oder kann ein Land auch einfach Flächen ausweisen, die brach liegen und nicht genutzt werden?

In Montreal wurden Kriterien festgelegt, welche die Schutzgebiete erfüllen müssen. Beispielsweise sollten sie ökologisch repräsentativ für das jeweilige Land sein. Das bedeutet, sie sollten alle wichtigen Ökosysteme beinhalten, die in dem jeweiligen Land vorkommen, und einen Teil des Verbreitungsgebiets aller dort lebenden Tier- und Pflanzenarten abdecken.

Man muss jedoch sagen, ähnliche Vorgaben gab es auch schon in der Vergangenheit. Schon jetzt sollte eigentlich jedes Land zehn Prozent von jedem seiner Ökosysteme schützen. Im Zuge unserer Forschung haben wir jedoch festgestellt, dass diese Vorgaben noch nicht erfüllt wurden. Häufig haben Staaten zwar große Flächen unter Schutz gestellt, doch wenn man näher hinschaut, zeigt sich, dass es sich um Gebiete gehandelt hat, die wenig Wert für die menschliche Nutzung hatten – aber leider auch keinen für den Erhalt der biologischen Vielfalt.

Wie untersuchen Sie so etwas?

Gemeinsam mit einem Team der Universität Queensland in Australien habe ich eine Software entwickelt, mit deren Hilfe Staaten überprüfen können, ob alle auf ihrem Territorium vorkommenden Ökosysteme ausreichend geschützt sind. Die Software nutzt Informationen über die Lage und Größe von Schutzgebieten und Ökosystemen in einem Staat, um zu berechnen, wie viel Prozent von jedem Ökosystem geschützt sind. So werden nicht ausreichend geschützte Ökosysteme identifiziert. Darüber hinaus gibt die Software einen Gesamtwert aus, der anzeigt, wie weit der Staat mit dem Erreichen eines Schutzziels bereits ist, beispielsweise dem neuen 30-Prozent-Ziel aus Montreal. Bei der Entwicklung dieser Software haben wir einige sehr interessante Entdeckungen gemacht. So haben wir festgestellt, dass mehr als die Hälfte aller Meeres-Ökosysteme, die weltweit in nationalen Gewässern vorkommen, nicht ausreichend geschützt sind – und jedes Zehnte noch überhaupt nicht.

Für prominente Arten werden ja häufig bereits große Schutzanstrengungen unternommen. Da haben es Pandabären und Nashörner noch vergleichsweise gut. Aber wie steht es mit den vielen Arten, die fast unbemerkt verschwinden?

Ja, besonders große oder hübsche Arten erfahren oft viel Aufmerksamkeit. Manchmal funktioniert es sogar, dass der Schutz sogenannter Schirmarten das Überleben der gesamten Lebensgemeinschaft in einem Ökosystem sichert. Ein Beispiel in Deutschland ist die Wildkatze. In den strukturreichen Laub- und Mischwäldern, in denen sie vorkommt, finden auch viele andere nicht so prominente Arten einen Lebensraum. Oft haben jedoch eher unscheinbare Arten ganz spezielle Lebensraumansprüche, die durch ökonomische Aktivitäten beeinträchtigt werden. Der Schierlings-Wasserfenchel und die Wiebelschmiele sind zwei endemische Pflanzenarten, die weltweit nur hier bei uns in der Tide-Elbe vorkommen. Das Ausbaggern der Elbe für die Hafennutzung gefährdet sie – trotzdem wird es fortgesetzt.   

Die derzeitige Krise der Biodiversität wird von manchen Forschenden bereits als neues Massenaussterben bezeichnet, ähnlich dem, das vor 66 Millionen Jahren das Ende der Dinosaurier bedeutete. Glauben Sie, dass wir diese Entwicklung aufhalten können, wenn wir künftig 30 Prozent der Erde schützen?

Ich persönlich bin sehr froh, dass sich die Staatengemeinschaft auf dieses Ziel verständigt hat. Nun kommt es darauf an, dass auch tatsächlich wirksame Schutzgebiete eingerichtet werden. Trotzdem muss man sagen: Schutzgebiete sind nur ein Teil der Lösung. Probleme wie Abholzung, Überweidung, Überfischung oder der Eintrag von Schadstoffen in die Umwelt werden dadurch nicht komplett gelöst. Wir müssen beginnen, die gesamte Erde nachhaltig zu bewirtschaften, sonst werden wir den Trend nicht mehr aufhalten.

Die Umweltwissenschaftlerin Dr. Kerstin Jantke arbeitet am Exzellenzcluster für Klimaforschung CLICCS der Universität Hamburg daran, nachhaltige Landnutzungsszenarien unter sich änderndem Klima zu entwickeln und dabei Zielkonflikte zwischen verschiedenen Nutzungsformen wie Land- und Forstwirtschaft sowie Naturschutz zu berücksichtigen. Als Reviewerin hat sie beispielsweise am 2019 veröffentlichten Bericht zur Situation der biologischen Vielfalt des Weltbiodiversitätsrats IPBES mitgewirkt.

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