„Ist Zukunft überhaupt noch gestaltbar und auf welche Weise?“

30. März 2023, von Tim Schreiber

Foto: Katja Klein

Mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ werden ganz unterschiedliche Vorstellungen und Ziele verbunden. Doch wie verändern sich moderne Gesellschaften, lassen sie sich von verschiedenen Imaginationen des Begriffs leiten? Mit dieser Frage beschäftigt sich die Kolleg-Forschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat dem Kolleg nun eine zweite Förderphase von abermals vier Jahren bewilligt, neuer Sprecher wird Prof. Dr. Frank Adloff sein.

Herr Adloff, was plant die Forschungsgruppe für die zweite Förderphase?

In der zweiten Förderphase nehmen wir uns der Frage der Nachhaltigkeit mit ihrer erhöhten Dringlichkeit und Konflikthaftigkeit an: Ist Zukunft überhaupt noch gestaltbar und auf welche Weise? Welche gesellschaftlichen Naturverhältnisse kommen dabei zum Ausdruck und wie wird um die richtigen Wege im Zuge vielfältiger Krisen und Katastrophen gerungen?

Wie gehen Sie bei der Beantwortung dieser Fragen vor?

Wir wenden uns dafür gesellschaftlichen Arenen der Aushandlung von Zukünften der Nachhaltigkeit zu. Es geht um Fragen der demokratischen Beteiligung oder des Ausschlusses, um die Neuaushandlung von Grundrechten und kollektiven Pflichten, um neu entstehende öffentliche und private Systeme der Klassifizierung und Bewertung wirtschaftlicher Aktivitäten oder um Fragen der kulturellen und religiösen Weltdeutung, die durch die sich verschärfenden ökologischen und sozialen Krisen herausgefordert werden. Das alles wollen wir noch globaler angehen, mit international ausgewiesenen Fellows aus unterschiedlichen Disziplinen und in einem neuen Leitungsteam zusammen mit Christine Hentschel und Stefan Aykut.

Was wurde in der ersten Phase bereits erreicht?

Dem Kolleg gelang es mit seinem theoretischen Zugriff, gegenwärtige Konflikte um verschiedene Pfade der Nachhaltigkeit in ihrer Komplexität soziologisch zu analysieren. Die von Sighard Neckel und mir in der ersten Phase entworfenen Pfade der Modernisierung, Transformation und Kontrolle, die für jeweils unterschiedliche Zukunftsentwürfe von Nachhaltigkeit stehen, haben sich als analytisches Instrumentarium bewährt. Modernisierung ist der dominante Pfad, der von Regierungen, Think Tanks und Unternehmensverbänden propagiert wird, doch die Bilanz des Versprechens auf einen grünen Kapitalismus ist mehr als ernüchternd. Transformation im Sinne eines grundlegenden sozial-ökologischen Wandels konnte bisher nicht hochskaliert werden. Kontrolle wiederum ist gerade im Angesicht vieler disruptiver und krisenhafter Entwicklungen zu einer immer wichtigeren Logik geworden und wirkt in Projekte der Modernisierung und Transformation hinein. Gerade diese Verschränkungen der drei Pfade werden uns in der zweiten Phase stärker interessieren.

Eine besondere Rolle spielen auch die Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler?

Die Kolleg-Forschungsgruppe konnte sich in der ersten Phase als zentraler Ort sozialwissenschaftlicher Nachhaltigkeitsdiskussionen national wie auch international etablieren. Das Kolleg hat für Fellows aus dem In- und Ausland und viele Kolleginnen und Kollegen schon eine starke Attraktivität entfalten können, was sich im großen Interesse an Fellowships, Konferenz- und Workshopteilnahmen niederschlug.

Über die DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Zukünfte der Nachhaltigkeit“

Das Anliegen der Forschungsgruppe ist eine empirisch fundierte Theoriebildung und Gegenwartsanalyse im Angesicht fortschreitender ökologischer Zerstörung. Wie verändern sich Gegenwartsgesellschaften in ihrer institutionellen Grundordnung und ihrem Naturverhältnis? Wie artikuliert sich das in multiple sustainabilities, mit welchen Machtasymmetrien und welchen Zukunftsvisionen?

Angesichts vielfältiger krisenhafter Entwicklungen wird die Gestaltbarkeit von Zukunft derzeit zunehmend in Frage gestellt; gleichzeitig eröffnen sich auch neue Steuerungsmöglichkeiten durch staatliche Interventionen, infrastrukturelle Investitionen oder rechtliche Neuerungen, die Potentiale für einen tatsächlichen Wandel zu größerer Nachhaltigkeit freilegen. Diesen gesellschaftlichen und theoretischen Herausforderungen will das Kolleg durch eine breit angelegte sozialwissenschaftliche und dialogische Forschung Rechnung tragen. Dabei ist die Gruppe auch einer engagierten Public Sociology verpflichtet, die in die Stadtöffentlichkeit und in die breite gesellschaftliche und politische Debatte hineinwirken soll.

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